Solar Radiation Management

Kontextualisierung einer Lösungsoption an der D2030 Veranstaltung vom 4.12.2024

Veranstaltung

Unbequeme Wahrheiten, die uns allgegenwärtig umzingeln. Das alte Gerüst von Einschätzungen und Gewissheiten wankt. Gab es lange Zeit einen unausgesprochenen Konsens darüber, dass Geoengineering ein unverantwortlicher und irreversibler Eingriff in die Natur wäre, so scheinen sich die Zeiten auch in dieser Frage gewandelt zu haben. Wäre ein zeitlich begrenztes und wissenschaftlich begleitetes Solar Radiation Management ein not-wendiger „radikaler Kompromiss“? Wir würden uns Zeit verschaffen, um dann doch noch die Klimaziele erreichen zu können. Wie könnte dazu eine Global Governance aussehen? Gebe es überhaupt Alternativen? Haben wir noch die Entscheidungsfreiheit? Unbequeme Fragen, die an dieser Veranstaltung am 4.12.2024 diskutiert wurden.

Redebeitrag

Guten Abend, meine Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung und die Möglichkeit, an dieser spannenden Diskussion teilzunehmen. Ich freue mich, heute gemeinsam mit Ihnen über ein Thema sprechen zu dürfen, das nicht nur hochaktuell, sondern auch zutiefst kontrovers ist: die Frage nach den „radikalen Kompromissen“, die notwendig sein könnten, um das Überleben unserer Gesellschaft doch noch zu ermöglichen. Mein Ziel ist es, Ihnen heute nicht nur einen systemischen Überblick über den aktuellen Stand der Diskussion zu geben, sondern auch aufzuzeigen, wie tief die Herausforderungen verwurzelt sind, mit denen wir uns konfrontiert sehen. Lassen Sie uns deshalb mit einem Blick auf die Grundlagen beginnen.

Die Grenzen des Wachstums, wie sie erstmals in den 1970er-Jahren von Dennis und Donella Meadows beschrieben wurden, haben uns ein Modell hinterlassen, das mit erschreckender Präzision die heutigen Krisen vorhersagte. Nicht nur die Erderwärmung durch radiative forcing – also den Strahlungsantrieb – bedroht unsere Zivilisation. Auch der Raubbau an natürlichen Ressourcen, die Zerstörung von Biodiversität und die systematische Verschmutzung der Lebensgrundlagen bringen uns an einen Punkt, an dem die Tragfähigkeit unseres Planeten überschritten wird. Jede dieser Krisen verstärkt die anderen in einem Netz gegenseitiger Rückkopplungen, und die globalen Ökosysteme werden immer weiter destabilisiert.

Historische Beispiele für das gesellschaftliche Unvermögen, in Krisensituationen angemessen zu reagieren, gibt es reichlich. Jared Diamond zeigt in seinem Buch Kollaps: Warum Gesellschaften überleben oder untergehen eindringlich, wie pfadabhängige Strukturen Anpassungen oft unmöglich machen. Gesellschaften neigen dazu, in ihren etablierten Prozessen zu verharren, selbst wenn diese sie unweigerlich in den Untergang treiben. Der entscheidende Unterschied unserer Zeit ist jedoch, dass die heutigen Herausforderungen globaler Natur sind – es gibt keinen Rückzugsraum mehr, in den wir ausweichen könnten. Wie im Dokumentarfilm "Die Erdzerstörer" von jean-Robert Viallet eindrücklich bebildert, betreiben wir bereits seit Jahrzehnten massives negatives Geoengineering: Durch den ungebremsten Ausstoß von Treibhausgasen und die systematische Zerstörung von Biodiversität destabilisieren wir die natürlichen Regulierungsmechanismen des Planeten in einem nie dagewesenen Ausmaß.

Die Auswirkungen sind bereits spürbar und potenziell katastrophal. Das Übersäuern der Meere durch die Aufnahme von CO₂ bedroht das Phytoplankton, das die Basis fast aller marinen Nahrungsketten bildet. Diese Entwicklung ist ein Vorbote massiver Biodiversitätsverluste, wie sie in der Erdgeschichte bereits mehrfach mit Massenaussterben einhergingen. Zugleich droht das Abreißen der Atlantischen Meridionalen Umwälzströmung (AMOC), ein essenzielles Element für die Stabilität globaler Wettersysteme, was zu einer weiteren Verschärfung der klimatischen Instabilität führen könnte. Wir erleben einen planetaren Kollaps in Echtzeit, getrieben durch menschliches Handeln, das unkontrolliert und zerstörerisch in die natürlichen Abläufe der Erde eingreift.

Die Social Ecology, unter anderem geprägt durch Helmut Haberl zeigt uns, dass ein zentraler Aspekt dieser Dynamiken die Nettoprimärproduktion ist – also die Menge an Sonnenenergie, die durch Photosynthese in Biomasse umgewandelt wird. Und wie James Lovelocks Modell Daisyworld verdeutlicht, führt eine größere Artenvielfalt zu einer besseren Selbstregulierung des Klimasystems und höherer Produktivität dieser. Doch durch menschliches Eingreifen haben wir nicht nur diese Selbstheilungskräfte geschwächt, sondern auch die natürliche Resilienz des Planeten und unserer Lebensgrundlage zerstört. Der Verlust von Biodiversität ist keine Randnotiz, sondern ein zentraler Faktor, der die Stabilität der Ökosysteme und damit unser Überleben gefährdet.

Aktuelle Ereignisse zeigen, wie wenig unsere internationalen Mechanismen darauf vorbereitet sind. Der Energiecharta-Vertrag (ECT), ursprünglich geschaffen, um Investitionen in den ehemaligen Ostblock zu fördern, wirkt heute als Bremse für die Energiewende. Fossile Konzerne nutzen die Regelungen, um Staaten zu verklagen, die den Ausstieg aus Kohle, Öl oder Gas vorantreiben. Ein prominentes Beispiel ist die Klage von ExxonMobil gegen die Niederlande. Während das Land versucht, nach jahrzehntelanger Gasförderung in Groningen die Förderung zu stoppen, fordert Exxon Schadensersatz unter Berufung auf den ECT. Diese Dynamik schreckt andere Länder ab, ambitionierte Klimagesetze zu verabschieden – ein Phänomen, das als „regulatory chill“ bekannt ist.

Die Schweiz hat in diesem Zusammenhang versucht, auf internationaler Ebene eine Diskussion über Solar Radiation Management (SRM) anzustoßen. Diese Technologien, die darauf abzielen, Sonnenstrahlen zurück ins All zu reflektieren, könnten theoretisch dazu beitragen, die Erderwärmung kurzfristig zu bremsen. Doch bei der UN-Umweltversammlung in Nairobi scheiterte ein Vorschlag der Schweiz, ein Expertengremium zur Untersuchung dieser Technologien einzurichten. Besonders afrikanische und lateinamerikanische Staaten lehnten den Ansatz ab und argumentierten, dass SRM eine Ablenkung von den eigentlichen Lösungen sei – nämlich der dringenden Reduktion von Treibhausgasen.

Dieses Scheitern zeigt ein Dilemma, das uns auch bei der Betrachtung anderer Geoengineering-Ansätze begegnet. Kritiker befürchten, dass Technologien wie SRM eine „Ausrede“ für fossile Konzerne werden könnten, ihre Emissionen weiterhin zu rechtfertigen. Gleichzeitig warnen Wissenschaftler, darunter die Unterzeichner der Initiative Call-for-Balance, davor, SRM vollständig zu ignorieren. Sie argumentieren, dass Forschung über die potenziellen Risiken und Vorteile von SRM sicherer sei, als es willentlich zu vernachlässigen. Diese Debatte spiegelt die Zerrissenheit wider, die viele Maßnahmen im Bereich Klimapolitik begleiten: der Versuch, zwischen kurzfristiger Symptombekämpfung und langfristiger Problemlösung zu balancieren.

Gleichzeitig haben wir es mit einer weiteren Herausforderung zu tun: dem sogenannten shifting baseline syndrome. Katastrophen wie Hitzewellen, Überschwemmungen oder Waldbrände werden immer häufiger, aber unsere Wahrnehmung passt sich an. Was vor 50 Jahren undenkbar gewesen wäre, gilt heute als „neue Normalität“. Doch diese Normalisierung ist gefährlich, weil sie die gesellschaftliche Dringlichkeit für echte Veränderungen mindert. Die Weltbank und das UN-Klimaabkommen warnen seit Jahren. Dennoch haben wir nun bereits zwei Jahre mit einer durchschnittlichen Erwärmung um 1,5 Grad Celsius verzeichnet – und das Pariser Abkommen ist damit faktisch gescheitert. Der Weltklimarat (IPCC) prognostiziert, dass wir ohne drastische Maßnahmen auf Szenarien zusteuern, die unsere Zivilisation grundlegend verändern werden.

Was also ist zu tun? Zunächst müssen wir die akuten Effekte der Erwärmung abmildern. Maßnahmen wie Aufforstung und die Wiederherstellung degradierter Ökosysteme sind essenziell. Doch wir brauchen auch technologische Ansätze, um die Zeit zu gewinnen, die für tiefgreifende Transformationen notwendig ist. Hier setzt das Passive Daytime Radiative Cooling (PDRC) an – eine Methode, die physikalisch die Sonneneinstrahlung reduziert und so lokal wie global zur Abkühlung beiträgt. Meine Berechnungen vom letzten Jahr, die die Potenziale von PDRC illustrierten, waren eine intellektuelle Fingerübung, doch sie zeigen: Lösungen mit geringem Termination Schock Risiko existieren – wenn wir bereit sind, sie zu verfolgen. In kleinem Maßsstab werden PDRCs bereits von Projekten wie MEER erfolgreich eingesetzt.

Aber die holistische Problemstellung ist Komplex, und schnelle Lösungen allein werden nicht reichen. Ich empfehle die Klimakrise in drei Zeithorizonten zu betrachten: kurzfristige Stabilisierung, mittelfristige Regeneration und langfristige Transformation. Diese Perspektive hilft uns, zwischen Soforthilfen, systemischen Anpassungen und einer revolutionären Neuausrichtung unserer Ökonomie zu unterscheiden – und all diese Ansätze als ineinander greifende Bausteine zu begreifen.

Kurzfristig brauchen wir drastische Maßnahmen, um die Erde zu kühlen. Die Schweizer Initiative bei der UN, Solar Radiation Management (SRM) einer strikten wissenschaftlichen Evaluation zu unterziehen, ist ein wertvoller Schritt, auch wenn sie nicht die nötige Unterstützung gefunden hat. SRM ist eine kurzfristige Lösung, es kann Zeit verschaffen, um die tiefen strukturellen Probleme zu adressieren. Kritiker betonen die Risiken für Wetter- und Ökosysteme, und diese sind real. Aber die Alternative – ein globales Nichthandeln – ist ebenfalls real und, wie Modellrechnungen zeigen, signifikant tödlicher. Es geht hier um keinen Balanceakt: Wir können das Potenzial dieser Technologien nutzen, um die schlimmsten Folgen der Erwärmung kurzfristig zu lindern - oder wir können unsere letzte Chancen auf ein Stoppen von Kipp-Punkten verspielen.

Parallel dazu müssen wir uns mittelfristig darauf konzentrieren, CO₂ aus der Atmosphäre zu entfernen. Die heutige Begeisterung für Direct Air Capture (DAC) muss kritisch betrachtet werden, da diese Technologie bereits an physikalische Grenzen stößt. Selbst die effizientesten Systeme bleiben energieintensiv und sind nicht skalierbar. Der einzige realistische Hebel liegt in der Wiederherstellung von Biodiversität. Ökosysteme wie Wälder, Feuchtgebiete und Moore haben eine unglaubliche Kapazität, Kohlenstoff zu binden, wenn sie intakt sind. Diese "natürlichen CO₂-Speicher" sind nicht nur effizienter, sondern stärken auch die Resilienz der Erde durch den Erhalt der Nettoprimärproduktion, der Basis des globalen Kohlenstoffkreislaufs.

Die Bedeutung von Biodiversität reicht jedoch weit über die Kohlenstoffbindung hinaus. Sie ist ein entscheidender Faktor für die Stabilisierung klimatischer Rückkopplungseffekte. Simulationsmodelle zeigen, wie Artenvielfalt zur Selbstregulierung von Ökosystemen beiträgt. Es verdeutlicht, dass ein Verlust an Vielfalt uns anfälliger für unvorhersehbare und oft irreversible systemische Brüche macht. Genau hier liegt die Chance: Statt auf technologische Insellösungen wie DAC zu setzen, können wir natürliche Prozesse reaktivieren, die sich über Jahrmillionen als stabilisierende Kräfte bewährt haben.

Und langfristig führt kein Weg daran vorbei, die ökonomischen und politischen Grundlagen unserer Gesellschaft grundlegend zu überdenken. Bücher wie Donut-Ökonomie von Kate Raworth bieten Visionen für ein neues wirtschaftliches Paradigma, das planetare Grenzen respektiert und soziale Gerechtigkeit einfordert. Statt blindem Wachstum brauchen wir eine Wirtschaft, die zirkulär und regenerativ ist – eine, die sowohl die Verbrauchszyklen von Ressourcen schließt als auch menschliche Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt, ohne die Grundlagen des Lebens auf diesem Planeten zu zerstören.

Die Klimakrise lässt uns keine Wahl: Die Alternative zu radikalen Maßnahmen ist, wie David Wallace-Wells in seinem Buch Die unbewohnbare Erde: Leben nach der Erderwärmung, warnt, der elende Tod von bis zu acht Milliarden Menschen innerhalb des nächsten Jahrhunderts. Bereits jetzt bedrohen die Übersäuerung der Meere, der Verlust von Biodiversität und das potenzielle Abreißen der AMOC die Stabilität globaler Systeme. Der Energiecharta-Vertrag (ECT) und ähnliche rechtliche Konstrukte zeigen jedoch, wie tief verwurzelt die Strukturen sind, die eine notwendige Transformation blockieren. Der „Call-for-Balance“, der im Kontext von SRM diskutiert wird, könnte eine Leitlinie sein, um sowohl technische als auch politische Ansätze zu integrieren und nachhaltige Lösungen zu ermöglichen.

Die Klimakrise ist keine rein technische Herausforderung – sie ist eine Krise unserer Kultur, unseres Systems und unserer Prioritäten. Es reicht nicht aus, die Erde nur zu kühlen oder Kohlenstoff zu binden. Wir müssen als globale Gemeinschaft grundlegende Veränderungen einleiten, um eine lebenswerte Zukunft zu sichern. Technologien wie PDRC, die Wiederherstellung von Biodiversität und ein revolutioniertes Wirtschaftssystem sind keine isolierten Antworten. Sie sind Teile eines umfassenden Ansatzes, der nur dann Erfolg haben kann, wenn wir bereit sind, bestehende Denkmuster hinter uns zu lassen.

Jetzt ist der Moment, in dem wir uns entscheiden müssen: Werden wir den Mut finden, die notwendige Transformation einzuleiten, oder werden wir in den vertrauten Bahnen verharren und das Leben künftiger Generationen opfern? Es ist Zeit für mutige Entscheidungen – und konsequentes rasches Handeln.

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